The Indian Way of Drive
Ein Exkurs zu meinem Reisebericht
ich merkte direkt am Anfang des Blogs – den indischen Straßenverkehr in einem Absatz zu beschreiben? Unmöglich. Hier ist ein eigener Blogeintrag nötig.
Anarchie
Auf Indiens Straßen herrscht Anarchie. Verkehrsregeln? Ja theoretisch gibt es die bestimmt. Das uralte recht des stärkeren? Nicht wirklich. Besondere Regeln? Ja … unser Guide beschrieb es kurz und knackig – 3 wichtige Dinge um im Straßenverkehr zu überleben:
- eine sehr gute Hupe
- eine sehr gute Bremse
- ganz ganz ganz viel Glück
Verkehrsregeln? Davon erwähnte er nix … wir merkten es.
Autofahrer bremsen sich aus, schneiden sich, hupen wie wild und wenn jemand an einen der seltenen Ampeln bei rot steht, wird der einfach überholt. Das alles hatten wir direkt bei der ersten fahrt auf dem Weg vom Flughafen ins Hotel, erlebt. In dem Video wurde das ganze mal schön dargestellt: Youtube (ganze sooo martialisch haben wir es nicht erlebt – zum Glück)
Blow Horn
Im deutschen vielleicht schnell falsch zu verstehen, ist das in Indien ein elementarer Teil des Straßenverkehrs bzw. des Indian Way of Drive. Es gibt KEINE … …s für andere Verkehrsteilnehmer! ;) … Es heißt einfach nur „Hupe um auf dich Aufmerksam zu machen“.
Situation in Deutschland
In Deutschland ist Hupen nur erlaubt um auf Gefahren aufmerksam zu machen; außerhalb geschlossener Ortschaften ist ein „antippen“ der Hupe zum Überholen erlaubt.
§16 StVO Abs. 3 sagt: „Schallzeichen dürfen nicht aus einer Folge verschieden hoher Töne bestehen“. Also Dauerhupen – verboten. Dazu hupt man (natürlich dann verbotener weise) um seinen „Gegner“ darauf hinzuweisen das er ein Idiot ist und doch noch mal die Fahrschule besuchen sollte.
Situation in Indien
Wie oben unter Anarchie schon beschrieben, sind Verkehrsregeln eigentlich uninteressant – somit ist jeder Verkehrsteilnehmer eigentlich eine absolut unberechenbare Gefahr und da die Gefahr permanent besteht, hupt man auch permanent. Logisch!
Das Hupen ist aber nicht negativ zu verstehen. Es sagt einfach nur aus „Vorsicht – bin neben dir, hinter dir, sonst wo bei dir“. Der angehupte weiß nun Bescheid und fährt vorsichtig.
Im Umgebungen von z. B. Krankenhäusern ist Hupen allerdings auch in Indien verboten. Bei Dämmerung darf man aber dann gerne mit der Lichthupe spielen („Use Dipper“).
LKWs und Busse sind rückwärtig gerne bemalt. Tuk-Tuks und Fahrradrickshaws teilweise auch. Normale PKWs hingegen nicht. Meist steht nochmal als „Erinnerung“ Blow Horn, Use Dipper at Night und ähnliches hinten dran. Auch wenn man in einer Verkehrsanarchie lebt, möchte man doch das ein oder andere für die Verkehrssicherheit machen. Lobenswert.
Ein kleines Demo-Video (3Mbyte groß) zum Straßenverkehr gibt es in meiner Galerie:
Fußgänger
Wie verhält man sich als Fußgänger in Indien?
Augen zu und durch! Kein Scherz! Da Ampel und Zebrastreifen sehr selten sind und dann eher nur als Deko dienen, muss man gucken wie man über die Fahrbahn kommt. Das kann nur eine Spur sein, können aber auch 2-3 Spuren. Natürlich kann man jetzt Warten. Warten. Warten. Aber das lässt man am besten. Es wird KEINER für einen Anhalten und rüberwinken – wie das in Deutschland ja durchaus mal passieren kann. Ich schrieb oben unter Anarchie: „gute Bremsen“ und „viel Glück“. Das kommt hier zum Einsatz. Man passt einen guten Augenblick ab und geht einfach. Außerdem bewegt man sich als Fußgänger eher auf der Straße als auf dem „Bürgersteig“. Bürgersteige sind entweder nicht vorhanden, sehr schmal oder nicht nutzbar (riesige und tiefe Löcher).
Bild 1: Was ist das?! Tatsächlich ein Verkehrspolizist. Den haben wir auch erst wahrgenommen als wir uns seinen Anweisungen „widersetzt“ hatten. „War das ein Polizist?“ „Ja oder?“. Wir sind im Indian-Style einfach über die Straße gegangen. (Varanasi)
Bild 2: größeres Loch im Bürgersteig (Varanasi)
Bild 3, 4: hier mussten wir rüber. Zum Glück eine gut übersichtliche Situation. Bei dem einen Stehen bleiben, bei dem anderen gehen, dort etwas schneller gehen, ein Schritt zurück, AUGEN ZU, BETEN!, Augen auf – Geschafft! (Delhi)
Bild 5: Möchtet ihr bei den Bürgersteigen in Bild 1 und 8 wirklich auf dem Bürgersteig gehen? Nein – Inder auch nicht. Abgesehen davon: Bürgersteige sind durchaus selten oder extrem schmal. (Delhi)
Bild 6: In Rajastan gehören neben Hunden, Kühen, Katzen, Menschen, Kraftfahrzeuge, Fahrräder, Schweine, Hühner auch Pferde, Kamele und Elefanten in den Straßenverkehr. (Jaipur)
Bild 7: Bild für die Führerscheinprüfung: Wer hat(te) hier Vorfahrt? (Jaipur)
Bild 8: kleines Loch im Bürgersteig (Delhi)
Autobahnen / Schnellstraßen
Gibt es in Indien natürlich auch. Aber auch hier gilt: Straßen sind für alle da. Da legt sich mal gemütlich eine Kuh auf eine der 3 Spuren. Da wechseln paar Leute die 2×3 Spuren. Händler nutzen Stausituationen, Kinder spielen am Rand und ganz wichtig: Bei 2 Spuren je Richtung bedeutet die Fahrbahnbegrenzung die Ideallinie zum fahren ;) Hier heißt es dann wieder ordentlich „Blow Horn“ um sicher überholen zu können. Und die Inder sind dabei weiterhin einfach entspannt.
Unfälle?
Passieren hier nicht viele Unfälle? Ich habe jetzt keine Statistik zur Hand. Wir waren allerdings sehr oft mitten im Straßenverkehr – es gab unzählige Beinaheunfälle – alleine auf einer kleinen 30 Minütigen Tuk-Tuk-Fahrt mehr Beinaheunfälle als ich zählen konnte. Einmal sah man wie ein Auto ein anderes berührte. Beide hielten an, stiegen aus, guckten sich die „Macke“ an, sagten paar Wörter zu einander, verabschiedeten sich und fuhren weiter. Man darf sich das ganze jetzt in Deutschland vorstellen ……
Und was ist mit Nepal?
Reset! Erstmal gibt es in Nepal weniger Straßenverkehr – das liegt daran das die indisch-stämmige Nepalesische Bevölkerung, die vorwiegend im Terai (Tiefland, Grenze zu Indien) lebt, paar Differenzen mit der Regierung in Kathmandu hat. In folge dieser Differenzen gibt es div. Blockaden von Lebensmittel, Öl und Benzin [die 2016 aber wohl durch China ausgeglichen werden soll]. Da Benzin also Mangelware ist – ist das ganze schon mal ein wenig Entspannter. Nichtsdestotrotz, gibt es dort Straßenverkehr und der ist dann etwas „westlicher“. Ok Verkehrsschilder und Ampel sind auch Mangelware – aber es gilt wieder das Recht des stärkeren: Auto = Vorfahrt vor Mensch. Am ersten Abend in Pokhara hatten wir das 2x erleben dürfen … Danach haben wir mehr auf den Straßenverkehr geachtet. Man wird eher westlich-böse angehupt ;)